Nicht selten haben die Hürden einer Zwangsstörung auch Einfluss auf die Beziehung zu nahestehenden Personen: Sie werden in Rituale mit einbezogen, müssen sich an die strikten Regeln der betroffenen Person halten oder sie müssen der Person immer wieder versichern, dass alles in Ordnung ist. Zudem kann es vorkommen, dass sich Betroffene aus ihrem sozialen Umfeld zurückziehen.
Das stellt Angehörige natürlich auch vor eine Herausforderung, was unter anderem Überforderung und Hilflosigkeit auslösen kann. Um zu helfen, möchte man nach Möglichkeiten suchen, um die betroffene Person bestmöglich zu unterstützen.
Die betroffene Person besser verstehen
Auch wenn Zwangsstörungen sich bei Betroffenen individuell verschieden äußern, kann man bestimmte übereinstimmende Merkmale und Gedankenmuster bei Zwangserkrankten beobachten. Sich über die Krankheit zu informieren, kann helfen, sich besser in Betroffene hineinzuversetzen und mögliche Sorgen und Anspannungen nachvollziehen zu können.
Betroffene haben oft ein andauerndes Gefühl der Unsicherheit. Sie fühlen sich wohl in einer vertrauten Umgebung mit gewohnten Abläufen. Dementsprechend lösen mehrdeutige und neue Situationen Anspannungen aus. Das Ausführen von Zwängen gibt Betroffenen ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle.
Die Unsicherheiten betreffen auch die eigenen Handlungen. Vermutungen zufolge zeigen Zwangserkrankte eine Beeinträchtigung in ihrem Gedächtnis. Das zeigt sich allerdings nicht in einer schlechteren Gedächtnisleistung, sondern vielmehr darin, dass Betroffene ihrem Gedächtnis nicht wirklich vertrauen.
Betroffene Personen neigen zu Perfektionismus. Sie haben Angst davor Fehler zu machen und glauben, dass selbst kleinste Fehler große Konsequenzen nach sich ziehen können. Dementsprechend möchten sie möglichst perfekt handeln, um Fehler und persönlich relevante negative Ereignisse möglichst zu verhindern.
Die Erwartungen von Zwangserkrankten können stark verzerrt sein. Sie haben oft eine hohe Erwartung für negative Ereignisse und überschätzen die Wahrscheinlichkeit des Eintretens.
Aus der Unsicherheit und der Angst vor Fehler heraus, haben Betroffene oft auch Schwierigkeiten damit, Entscheidungen zu treffen. Da sie oft negative Ereignisse bzw. negative Konsequenzen durch ihr eigenes Handeln erwarten, haben sie oft Angst davor, die falsche Entscheidung zu treffen.
Zwangserkrankte haben ein sehr hohes Verantwortungsgefühl. Sie fühlen sich oft für Ereignisse verantwortlich, über die sie eigentlich gar keine Kontrolle haben. Sie fühlen sich selbst für Handlungen verantwortlich, die sie nicht ausgeführt und unterlassen haben (sog. omission error).
Der Umgang mit Betroffenen - Was kann ich tun?
Offen darüber sprechen
Indem man die Zwangsstörung offen anspricht, zeigt man Interesse an der betroffenen Person und gibt ihr den Raum auch selber darüber sprechen zu können. Auf keinen Fall sollte man die Person dazu drängen sich mitzuteilen, sondern ihr die Entscheidung lassen, wann und wie sie sich anvertrauen möchte.
Die Zwangsstörung als Krankheit ansehen
Es passiert leider immer noch viel zu oft, dass psychische Störungen nicht so ernst genommen werden wie beispielsweise somatische Erkrankungen. Zwangsstörungen sind eine richtige Krankheit, die Behandlung bedarf und sich auch gut behandeln lässt.
Kein Ursachen- oder Schuldsuchen
Weder die betroffene Person noch man selbst ist schuld an der Zwangsstörung. Die Ursache ist nicht eindeutig, sondern ein Zusammenspiel aus verschiedenen Faktoren. Anstatt einen Sündenbock zu suchen, hilft es eher, sich darauf zu konzentrieren, ungünstige Bewältigungsstrategien zu unterbinden und zu ändern.
Betroffene nicht dazu auffordern sich zu verstecken
„Reiß dich zusammen und denk vernünftig!“ Solche Aussagen sind eher verletzend und spielen die Situation und Gefühle von Betroffenen runter, als dass sie helfen. Betroffenen ist oft bewusst, dass ihre Zwänge übertrieben sind. Leider ist die Krankheit aber viel komplexer, als dass sie sich mit etwas „zusammenreißen“ lösen lässt.
Distanz zum Zwang bewahren
Wie bereits angesprochen, werden Angehörige auch oft in das Zwangssystem mit eingebunden. Wichtig ist es, dass man das eigene Leben nicht an die Zwänge anpasst und den Alltag davon bestimmen lässt. Es ist ratsam, dass man als angehörige Person versucht, ungünstige Verhaltensweisen zu unterbinden, indem man den Zwängen nicht nachgeht.
Ansonsten kann es dazu führen, dass das Zwangsverhalten verstärkt und aufrechterhalten wird. Dabei sollte man versuchen, es der Person verständnisvoll nahezubringen.
Zwänge nicht persönlich nehmen
Wichtig ist, dass man nicht die Person an sich für ihre zwanghaften Verhaltensweisen verantwortlich macht. Es ist vielmehr ein Ausdruck der Krankheit und hat nicht die Absicht, dich als Angehörige*r zu kränken. Diese Sichtweise kann helfen, Schwierigkeiten im gemeinsamen Umgang vorzubeugen.
Eigene Grenzen setzen
Auch wenn die betroffene Person einem sehr am Herzen liegt und man helfen möchte, ist man als angehörige Person nicht für die Heilung der Zwangsstörung verantwortlich. Man kann Betroffene nur die Hilfe anbieten, für die man selbst auch die Kraft hat. Du bist nicht dafür verantwortlich, allen Forderungen nachzugehen.
Angehörige sollten sich auch Gefühle eingestehen und erlauben. Auch du darfst traurig und wütend (auf die Krankheit) sein! Es ist wichtig, dass man wahrnimmt, was bei sich selbst ausgelöst wird und schnell reagiert, bevor die Belastung zu groß wird.
Einen ausführlichen Artikel dazu, wie man sich selber Grenzen setzt, findest du hier.
Unterstützung anbieten
Um Betroffenen zu helfen, kann man mit ihnen gemeinsame Aktivitäten im Alltag planen. Einerseits werden sie dadurch abgelenkt und gleichzeitig werden dadurch zwischenmenschliche Beziehungen und gesunde Persönlichkeitsmerkmale gestärkt.
Lob aussprechen und Rückfälle akzeptieren
Für Betroffene ist der Weg zur Bekämpfung der Zwangsstörung oftmals eine große Herausforderung. Deswegen sollte jeder noch so kleine Schritt wertgeschätzt und auch gelobt werden, denn jeder Schritt Richtung Besserung ist wichtig.
Wie bei anderen Krankheiten ist auch bei einer Zwangsstörung der Heilungsverlauf nicht linear, sondern hat seine Höhen und Tiefen. Rückschläge können passieren und sind auch normal. Hier hilft es, Betroffene zu ermutigen, weiterzumachen und nicht zu kritisieren.
Professionelle Hilfe vorschlagen
Als nahestehende Person ist die Hilfe, die man selbst geben kann, begrenzt. Meistens bedarf es einfach mehr Unterstützung und einer umfassenden Behandlung der Problematik. Angehörige können hier die betroffene Person darin bestärken, eine Therapie anzufangen. Um es der Person zu erleichtern, kann man ihr anbieten, ihr bei verschiedenen Punkten zu unterstützen (z.B. bei der Suche nach einem Therapieplatz).
Sich selbst Unterstützung suchen und mit anderen austauschen
Der Umgang mit Zwangserkrankten ist nicht immer einfach und da ist es vollkommen normal, dass man sich als nahestehende Person auch belastet fühlt. Das hat auch nichts mit Versagen oder Ähnliches zu tun.
Wichtig ist, dass man sich wie bereits erwähnt eigene Grenzen setzt und sich die nötige Unterstützung sucht. Dabei gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten. Neben Selbsthilfeliteratur ist es möglich sich mit anderen Angehörigen auszutauschen (z.B. in Gruppen). Bedarf es etwas mehr Unterstützung, kann auch eine psychotherapeutische Behandlung hilfreich sein.
Es gibt also viele verschiedene Möglichkeiten, wie du als Angehörige*r die betroffene Person unterstützen kannst. Allein das Wissen, nicht allein zu sein, kann für Betroffene bereits eine enorme Hilfe sein. Wichtig ist aber auch, dass du selbst auf dich achtest und eine Balance findest.
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