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Warum wir vom „Flow“-Zustand besessen sind: Die Wissenschaft hinter optimalem Erleben



Stellen Sie sich vor, Sie tauchen so tief in eine Tätigkeit ein, dass die Welt um Sie herum verschwimmt. Ihre Gedanken sind fokussiert, Ihre Bewegungen fließen, und Sie fühlen sich, als wären Sie genau dort, wo Sie sein sollen. Kein Druck, kein Stress – nur vollkommene Konzentration und Zufriedenheit. Dieses Erlebnis, das von vielen als „Flow“ bezeichnet wird, ist mehr als ein Glücksgefühl. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Flow uns nicht nur motivierter und kreativer macht, sondern dass er auch direkte Auswirkungen auf unsere Gehirnstrukturen und unser Wohlbefinden hat. Doch wie genau funktioniert der Flow-Zustand? Warum streben wir so danach, ihn zu erreichen – sei es im Beruf, im Sport oder sogar beim Musizieren?


 

Flow – das Geheimnis der völligen Hingabe

Flow, wie ihn der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi erstmals definierte, beschreibt einen Zustand der totalen Absorption und des völligen Aufgehens in einer Tätigkeit. Man verliert sich im Moment, das Zeitgefühl verändert sich, und die Anforderungen der Aufgabe treffen perfekt auf die eigenen Fähigkeiten. Wenn die Tätigkeit jedoch zu leicht oder zu schwierig ist, verschwindet dieser Zustand; es ist diese fragile Balance zwischen Herausforderung und Können, die Flow so selten und gleichzeitig so begehrenswert macht. Denken Sie an den letzten Moment, in dem Sie alles um sich herum vergessen haben, sei es beim Schreiben, im Gespräch, beim Sport oder bei einem Hobby. Diese Momente des Eintauchens sind Flow-Momente – und sie lösen eine Art von Glücksgefühl aus, das uns immer wieder zurück zu diesen Aktivitäten zieht.


Was passiert im Gehirn während des Flow-Zustands?

Die Neurowissenschaften zeigen uns, dass im Flow-Zustand faszinierende Dinge im Gehirn geschehen:

  1. Selbstvergessenheit durch transiente Hypofrontalität: Während des Flow-Zustands reduziert sich die Aktivität im präfrontalen Kortex, jenem Bereich des Gehirns, der für Selbstwahrnehmung und die Beurteilung von Vergangenheit und Zukunft zuständig ist. Dadurch verschwinden Selbstzweifel, und wir handeln ohne die üblichen inneren Blockaden. Wir fühlen uns frei und handeln im Einklang mit uns selbst, was oft als die „wahre Form des Selbst“ erlebt wird.

  2. Ein Dopamin-High: Flow ist mit einem starken Anstieg von Dopamin verbunden, dem Belohnungs- und Glückshormon. Wenn wir eine herausfordernde Tätigkeit ausüben, die uns in den Flow versetzt, schüttet das Gehirn Dopamin aus und stärkt so unser Gefühl von Motivation und Zufriedenheit. Dieser „Kick“ bringt uns dazu, Flow immer wieder zu suchen.

  3. Verstärkte Verbindungen zwischen Netzwerken: Im Flow-Zustand arbeiten das sogenannte Default-Mode-Netzwerk (DMN) und das Salienznetzwerk intensiv zusammen, was uns ermöglicht, uns sowohl auf die Aufgabe zu fokussieren als auch störende Gedanken auszublenden. Diese verstärkte Koordination zwischen Hirnarealen schafft ein Gleichgewicht, das unseren Fokus aufrechterhält und unser Handeln im Moment verankert.


Warum wir so „besessen“ von Flow sind

Flow ist so anziehend, weil er nicht nur wie eine Art Glücksrausch wirkt, sondern auch das Gefühl von Sinn und Erfüllung vermittelt. Menschen berichten oft, dass Flow-Momente wie eine Art „natürliches High“ wirken, das Stress abbaut und Wohlbefinden fördert. Einmal erlebt, sucht man Flow oft immer wieder – das gilt für leidenschaftliche Hobbyisten, Künstler, Extremsportler und selbst für Menschen in hochkonzentrierten Arbeitsumfeldern. Flow verbessert zudem soziale Bindungen, wenn wir ihn in Gruppen erleben, etwa im Team-Sport oder bei gemeinsamen kreativen Aktivitäten. Studien zeigen, dass Flow-Zustände das Vertrauen und die Kooperation innerhalb von Gruppen stärken und das Wohlbefinden fördern. Wenn Menschen im Flow zusammenarbeiten, entsteht ein geteiltes Erlebnis, das die Bindung untereinander vertieft.


Flow und Kreativität: Die Magie des Schaffens

Flow wird oft als „Schlüssel zur Kreativität“ angesehen, weil dieser Zustand uns erlaubt, über uns selbst hinauszuwachsen. Kreative Denkprozesse – wie das Finden neuer Ideen oder das Lösen komplexer Probleme – laufen leichter ab, wenn wir im Flow sind. Die Abwesenheit von Selbstzweifeln und inneren Barrieren macht den Weg frei für intuitives und spontanes Handeln. Zusätzlich haben Forscher festgestellt, dass Flow die Aktivität der Gamma-Wellen im Gehirn erhöht – ein Zustand, der mit tiefen Einsichten und neuen Verbindungen assoziiert wird. Dies hilft uns, unkonventionelle Lösungen zu finden und „Aha-Erlebnisse“ zu erleben. Daher ist Flow auch für viele Künstler und Innovatoren ein angestrebter Zustand, in dem das kreative Potenzial maximal ausgeschöpft wird.


Flow als Schlüssel zu Sinnhaftigkeit und persönlichem Wachstum

Der Flow-Zustand bringt uns in intensiven Kontakt mit unseren Fähigkeiten und Leidenschaften, was ihn zu einem mächtigen Katalysator für persönliche Entwicklung und tiefere Lebenszufriedenheit macht. Flow-Momente erzeugen nicht nur Freude, sondern schaffen das Gefühl, dass wir aktiv und sinnvoll an unserem Leben mitgestalten. Dennoch ist Flow allein nicht ausreichend, um langfristige Erfüllung zu gewährleisten – ein ausgewogenes Leben verlangt auch Ruhephasen und Zeit für Reflexion, in denen wir unsere Ziele und Werte bewusst hinterfragen können.



Quellen

Csikszentmihalyi, M. (1990). Flow: The Psychology of Optimal Experience. Harper & Row.

Csikszentmihalyi, M. (1997). Finding Flow: The Psychology of Engagement with Everyday Life. Basic Books.

Nakamura, J., & Csikszentmihalyi, M. (2002). The concept of flow. In: Handbook of Positive Psychology (pp. 89-105). Oxford University Press.

Jackson, S. A., & Csikszentmihalyi, M. (1999). Flow in sports: The keys to optimal experiences and performances.Human Kinetics.

Csikszentmihalyi, M., & LeFevre, J. (1989). Optimal experience in work and leisure. Journal of Personality and Social Psychology, 56(5), 815-822.

Huang, W., & Wu, C. (2019). The relationship between flow experience, intrinsic motivation, and creativity in an online learning context. Computers & Education, 129, 102-112.

Delle Fave, A., & Massimini, F. (2005). The role of flow in the development of creativity. Creativity Research Journal, 17(1), 5-17.

Seligman, M. E. P. (2011). Flourish: A Visionary New Understanding of Happiness and Well-being. Free Press.

Morrison, M. A., & O'Neill, R. (2011). Flow experience and creativity: A study of creativity in visual arts. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 5(4), 339-346.

Rogers, C. R. (1961). On becoming a person: A therapist's view of psychotherapy. Houghton Mifflin.

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