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Türchen 22 – Stille



„Stille Nacht, heilige Nacht…“, so singen wir es zur Weihnachtszeit. Was Stille mit uns macht und warum sie manchmal hilfreich und heilend ist, erfahrt ihr in diesem Artikel.


 

Die Bedeutung von Geräuschlosigkeit

Stille, was zunächst die Abwesenheit von Geräuschen meint, hat in unserem Leben einen ganz besonderen Wert. Jene Geräuschlosigkeit um uns herum und auch in unserem Innen hat vielerlei Wirkungen auf Körper und Geist. In einer lauten Welt, kann sie uns ein wertvoller Schatz sein, unser Wohlbefinden und unsere seelische Balance bewahren. Stille hatte bereits in der Geschichte und Philosophie eine große Bedeutung. Sie war ein Mittel der inneren Reflexion und half großen Denkern dabei, Weisheit und Selbsterfahrung zu erlangen.  Auch in Religion und Spiritualität spielt die Stille eine große Rolle. Die Ruhe schafft Verbindung zu Göttlichem, zu innerem Frieden und Transzendenz (z.B. in Gebet und Meditation). Auch zu anderen speziellen Anlässen wie Gedenkstunden, Schweigeminuten oder heilige Zeremonien bietet Stille den freien Raum für kollektive Reflexion und Verbindung.


Verschiedene Arten von Stille

Es gibt verschiedene Formen der Stille.


  • Äußere Stille: bezieht sich auf die vollkommene Abwesenheit von Geräuschen aus der Umgebung. Beispielsweise in einem stillen Raum, abgelegener Natur oder nachts, wenn es normalerweise ruhiger ist.

  • Innere Stille: meint die Abwesenheit von innerem mentalen Geschehen oder Dialog. Es ist ein Zustand, in dem der Geist ruhig und gelassen ist - ohne Gedanken, Ablenkung oder mentaler Unruhe. Innere Stille ist oft assoziiert mit Meditation, Achtsamkeit und Techniken der Tiefenentspannung.

  • Soziale Stille: beschreibt die Abwesenheit von verbaler Kommunikation oder das bewusste Schweigen. Sie kann während Momenten der stillen Verständigung, des Respektes oder wenn absichtlich keine Konversation gewollt ist, stattfinden (z.B. in Meditationsgruppen, Schweige-Retreats oder kulturellen Praktiken).

  • Emotionale Stille: ist die Abwesenheit von emotionalem Ausdruck oder das Zurückhalten bzw. nicht-Zeigen von Emotionen. Dies kann der Fall sein, wenn jemand seine Gefühle verstecken möchte - beispielsweise durch soziale Normen, aus Angst abgewertet zu werden oder ein bestimmtes Bild von sich den anderen gegenüber aufrecht erhalten zu wollen. Emotionale Stille kann sich in mangelnder emotionaler Reaktion oder Schutzverhalten manifestieren.

  • Rituelle Stille: tritt vor allem währen speziellen kulturellen, religiösen oder zeremoniellen Praktiken auf. Teilnehmer verzichten absichtlich auf Gespräche oder Geräusche, um spirituelle Verbindung zu finden. Beispiele hierfür sind stille Gebete und Momente der Stille während Ritualen.

  • Reflexive Stille: beschreibt Momente der stillen Reflexion und Introspektion. Es meint die Zeit der Besinnung, des Nachdenkens und Verstehens sowie der Findung von  Erkenntnis. Diese Form der Stille kann bewusst selbst gewählt sein oder durch Aktivitäten (z.B. Tagebuchschreiben, Natur-Spaziergänge, stille Pausen) gestützt werden.


Die verschiedenen Arten der Stille können sich auch überlappen. Versuchen wir die vielen Formen der Stille für uns selbst entdecken und erkunden, so kann es uns die offene Möglichkeit zur Selbst-Erkenntnis, zu mehr Entspannung und zu verbessertem Wohlbefinden bieten.


Einfluss von Stille auf unser Autonomes Nervensystem

Stille spielt eine bedeutende Rolle in der Emotionsregulation, in sozialem Engagement und in physiologischen Reaktionen des Autonomen Nervensystems. Innere Stille stärkt die Aktivität des ventralen Vagus Nervs, welcher vor allem in sozialer Interaktion und Entspannung beteiligt ist. Stille reguliert die Aktivität des Sympathischen Nervensystems und kann physiologischem Stress reduzieren. Äußere Stille kann zu einer erhöhten Fähigkeit der Aufmerksamkeit führen.


Eine Studie an Mäusen kam außerdem zu dem Ergebnis, dass Stille zu einer erhöhten Bildung von Neuronen im Gehirn führt.  Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass auch in unserem menschlichen Gehirn die Nervenzellen besser wachsen und sich vernetzen können, wenn wir Stille erleben.


Schweigen, Stille und Meditation

Im Bereich der Meditation und Achtsamkeit hat es in den letzten Jahren einiges an Forschung gegeben. Interventionen, die sich auf Achtsamkeit stützen, können eine Reihe an Symptomen psychischer Erkrankungen (z.B. Angststörungen, Depression, Sucht, Essstörungen) verringern und bei chronischen Schmerzen helfen. Gleichzeitig kann es unser allgemeines Wohlbefinden fördern und unsere Lebensqualität verbessern.


Ein wichtiger Teil der Achtsamkeits-Meditation ist es, die Fähigkeit zu schulen, sich mit seinen Aufmerksamkeit bewusst auf das Hier-und-Jetzt zu konzentrieren. Dabei wir eine mitfühlende, liebende und nicht-wertende Haltung eingenommen. Diese Weise der Meditation hat viele gute  Wirkungen auf die psychische Gesundheit. Achtsamkeit wird zudem mit einer positiven Veränderung der grauen Materie im Gehirn in Verbindung gebracht – und zwar in den Hirnregionen, welche für Lernen und Gedächtnis, Emotionsregulation, Selbstwahrnehmung, und Perspektivenwechsel zuständig sind. Wer in stiller Meditation geübt ist, kann seine mentalen Vorgänge besser kontrollieren und sein Wohlbefinden sowie emotionales Erleben regulieren. Innere Stille kann auch den negativen Effekten der zunehmend lauten äußeren Welt entgegen wirken. Die Ruhe der Meditation erleichtert es uns Stress vorzubeugen und die Balance im Leben zu bewahren.


Mini-Achtsamkeitsübungen für mehr Stille

Hier findet ihr drei kleine Anleitungen, die euch dabei helfen in Momente der Stille einzutauchen:

 

  • Atemmeditation:  Suche dir einen ruhigen Ort und setze dich in bequemer Haltung hin. Konzentriere dich nun für ein paar Minuten ganz auf deine Atmung. Beobachte dabei, wie du ein und aus atmest. Wenn Gedanken in die auftauchen, so nimm sie einfach wahr und lasse sie vorbeiziehen.

  • Body-Scan: Für diese Übung kannst du die gemütlich hinlegen. Nimm deinen Körper zunächst als ganzes wahr und versuche dann, ganz bewusst jede einzelne Körperregion zu spüren (Füße, Beine, Becken, Bauch, Rücken, Arme, Schultern, Nacken und Kopf). Achte darauf, welche Empfindungen du in deinem Körper fühlen kannst.

  • Natur: Ein stiller Spaziergang in der Natur kann tief entspannend wirken. Du kannst dabei bewusst darauf achten, welche Landschaft um dich herum ist, wie das Licht fällt oder welche Geräusche zu hören sind.


Man soll schweigen oder Dinge sagen, die noch besser sind als das Schweigen. Phytagoras von Samos

 

Quellen

Donelli, D., Lazzeroni, D., Rizzato, M., & Antonelli, M. (2023). Silence and its effects on the autonomic nervous system: a systematic review. Progress in Brain Research, 280, 103-144.
 
Gann, K. (2010). No such thing as silence: John Cage's 4'33. Yale University Press.
 
Hölzel, B. K., Carmody, J., Vangel, M., Congleton, C., Yerramsetti, S. M., Gard, T., & Lazar, S. W. (2011). Mindfulness practice leads to increases in regional brain gray matter density. Psychiatry research: neuroimaging, 191(1), 36-43.
 
Kirste, I., Nicola, Z., Kronenberg, G., Walker, T. L., Liu, R. C., & Kempermann, G. (2015). Is silence golden? Effects of auditory stimuli and their absence on adult hippocampal neurogenesis. Brain Structure and Function, 220, 1221-1228.
 
Menezes, C. B., Pereira, M. G., & Bizarro, L. (2012). Sitting and silent meditation as a strategy to study emotion regulation. Psychology & Neuroscience, 5, 027-036.
 
Venditti, S., Verdone, L., Reale, A., Vetriani, V., Caserta, M., & Zampieri, M. (2020). Molecules of silence: Effects of meditation on gene expression and epigenetics. Frontiers in psychology, 11, 1767.

Bildquelle: "https://pixabay.com/de/users/tantetati-77004/?utm_source=link-attribution&utm_medium=referral&utm_campaign=image&utm_content=1156619"

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