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Systemische Therapie - das Leben als Netz


Die Diagnose einer psychischen Erkrankung bei einem geliebten Menschen ist oft ein Schock. Gefühle von Hilflosigkeit, Angst und Verwirrung können überwältigend sein. Doch es gibt Wege, wie du als Angehöriger nicht nur den Betroffenen unterstützen, sondern auch selbst gestärkt aus dieser Situation hervorgehen kannst. Eine dieser Wege ist die systemische Therapie. In diesem Blogpost möchten wir dir zeigen, was systemische Therapie ist, wie sie funktioniert und wie sie dir und deinem Angehörigen helfen kann.



 


Was ist systemische Therapie?


Die systemische Therapie unterscheidet sich von vielen anderen Therapieformen dadurch, dass sie den Menschen nicht isoliert betrachtet, sondern in seinem sozialen Kontext. Stell dir das Leben deines Angehörigen wie ein Netz vor – jeder Knotenpunkt repräsentiert eine wichtige Beziehung oder Interaktion. Die systemische Therapie untersucht, wie diese Knotenpunkte miteinander verbunden sind und wie sie einander beeinflussen.

Die kognitive Verhaltenstherapie ist zwar eine sehr effektive Interventionsmethode insbesondere für Erkrankungen wie Zwangs- oder Angststörungen, aber teilt gleichzeitig Verhalten oder Entscheidungen immer in „konstruktiv“ und „destruktiv“ ein. Diese Einteilung nimmt die systemische Therapie nicht vor, sondern hat das Ziel aufzuzeigen, dass jede Entscheidung in einem System zu sehen ist und ihre Vor- und Nachteile mit sich bringt.


Dieser Ansatz birgt den Vorteil, dass der Patient sich weniger für die eigenen Entscheidungen verurteilt, sondern sich selbst gegenüber mehr Verständnis aufbringt.


Zum Beispiel würde ein systemischer Therapeut nicht per se aufzeigen, dass sich ein Patient mit sozialer Phobie, der viel im Haus bleibt, destruktiv verhält, sondern würde die Vor- und Nachteile dieser Entscheidung innerhalb des „Netzes“ nennen.



Grundprinzipien der systemischen Therapie


  1. Ganzheitlicher Ansatz: Statt nur den Einzelnen zu behandeln, werden die Beziehungen und Interaktionen innerhalb seines sozialen Netzwerks betrachtet.

  2. Ressourcenorientierung: Der Fokus liegt auf den vorhandenen Stärken und Ressourcen, anstatt nur auf den Problemen.

  3. Lösungsorientierung: Ziel ist es, gemeinsam praktikable Lösungen zu finden.

  4. Konstruktivismus: Jede Person hat ihre eigene Sicht auf die Realität, und diese Vielfalt wird anerkannt und genutzt.

 


Warum ist systemische Therapie für Angehörige wichtig?


Als Angehöriger bist du ein zentraler Teil des Systems, in dem der Betroffene lebt. Deine Unterstützung, deine Interaktionen und dein eigenes Wohlbefinden haben einen enormen Einfluss auf den Genesungsprozess. Die systemische Therapie bietet Werkzeuge und Einsichten, die dir helfen können, deine Rolle bewusster und effektiver zu gestalten.

 

Wie du als Angehöriger unterstützen kannst

 

  1. Eigenes Verhalten reflektieren: Überlege, wie deine Reaktionen und Verhaltensweisen den Betroffenen beeinflussen. Schon kleine Änderungen in der Kommunikation können viel bewirken.

  2. Gemeinsame Sitzungen: Ermutige den Betroffenen, gemeinsam mit dir Therapiegespräche zu führen. Dies kann die Kommunikation und das gegenseitige Verständnis verbessern.

  3. Ressourcen und Stärken nutzen: Hilf deinem Angehörigen, seine eigenen Stärken und Ressourcen zu erkennen und zu nutzen. Dies fördert Selbstvertrauen und positive Entwicklungen.

  4. Grenzen setzen: Achte auf deine eigenen Grenzen und sorge für deine psychische Gesundheit. Überforderung und Co-Abhängigkeit können langfristig schädlich sein.

 


Praktische Tipps für den Alltag


  1. Kommunikation verbessern:

    1. Sprich offen und ehrlich über deine Gefühle, ohne Schuldzuweisungen.

    2. z.B. „Mich verletzt dein Verhalten“ oder „Wir scheinen uns gegenseitig zu verletzen“ verwenden statt „Du bist nicht nett“

    3. Höre aktiv zu und zeige Verständnis.

  2. Gemeinsame Aktivitäten:

    1. Plane regelmäßige Aktivitäten, die beiden Seiten Freude bereiten und die Beziehung stärken.

    2. Pflege kleine Rituale, die Sicherheit und Struktur bieten.

    3. zum Beispiel kann dies das morgendliche Frühstück oder eine Runde Rummikub pro Tag sein

  3. Selbstfürsorge:

    1. Nimm dir regelmäßig Zeit für dich selbst, um aufzutanken und Stress abzubauen.

    2. Suche dir Unterstützung, sei es durch Freunde, Selbsthilfegruppen oder professionelle Hilfe.

 


Wissenschaftliche Erkenntnisse


Die Wirksamkeit der systemischen Therapie wurde in vielen Studien nachgewiesen. Eine umfassende Analyse von Carr (2009) zeigte, dass systemische Therapie bei einer Vielzahl von psychischen Problemen, einschließlich Depressionen und Angststörungen, effektiv ist. Die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) betont ebenfalls die Bedeutung der Einbeziehung des sozialen Umfelds in den therapeutischen Prozess. Die systemische Therapie ist seit 2019 von den Krankenkassen anerkannt und finanzierbar.

 


Häufige Fragen zur systemischen Therapie


Wie lange dauert eine systemische Therapie?

Die Dauer variiert stark und hängt von den individuellen Bedürfnissen ab. Manche Menschen benötigen nur wenige Sitzungen, andere eine längere Begleitung.

 

Wie finde ich einen geeigneten Therapeuten?

Die DGSF bietet eine Liste zertifizierter Therapeuten an. Empfehlungen von Ärzten oder anderen Angehörigen können ebenfalls hilfreich sein.

 

Kann die systemische Therapie mit anderen Therapieformen kombiniert werden?

Ja, sie kann ergänzend zu anderen Therapieformen eingesetzt werden. Sprich mit deinem Arzt oder Therapeuten über die besten Optionen.

 


Fazit

 

Die systemische Therapie bietet wertvolle Werkzeuge und Perspektiven, die dir helfen können, besser mit der psychischen Erkrankung deines Angehörigen umzugehen. Durch ein tieferes Verständnis der Beziehungsdynamiken und eine konstruktive Zusammenarbeit kannst du einen wichtigen Beitrag zur Genesung deines geliebten Menschen leisten und gleichzeitig dein eigenes Wohlbefinden schützen.

Denke daran: Du bist nicht allein. Es gibt zahlreiche Ressourcen und Unterstützungsmöglichkeiten, die dir auf diesem Weg zur Seite stehen. Nutze diese, um sowohl deinem Angehörigen als auch dir selbst die bestmögliche Unterstützung zu bieten.

 



Ein weiterer Beitrag zum Thema Intervention bei den eigenen Kindern:



Quellen

1. Carr, A. (2009). The effectiveness of family therapy and systemic interventions for adult‐focused problems. Journal of Family Therapy, 31(1), 46-74.

2. Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF). (n.d.). [www.dgsf.org](https://www.dgsf.org)


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