Angst und Panik? Von Angsthasen und Furchtlosigkeit.
Die Fähigkeit sich zu fürchten macht den Menschen sicher nicht einzigartig. Auch Tiere fürchten sich, sogar für den Menschen erkennbar, und drücken diese Furcht durch Laute, Körperhaltung und, abhängig von der Tierart, auch Mimik aus. Die spannende Frage ist doch: gibt es Menschen, die sich nicht fürchten? Wie verhalten sich diese? Sind sie überlebensfähig?
Das empfinden von Furcht ist ein sehr komplexer Vorgang, der sich in den inneren Strukturen unseres Gehirns finden lässt (hauptsächlich Amygdala, aber auch Hippocampus), von denen man ausgeht, dass sie die ältesten Strukturen unseres Gehirns sind. Die Fähigkeit sich zu fürchten wird wahrscheinlich älter als die Menschheit sein, aber solange es den Menschen in seiner heutigen Form gibt, ist er in der Lage sich zu fürchten.
Der Hass auf den Lieblingsklingelton
Jeder von uns kennt das Gefühl von Furcht. Zwar haben Menschen vor unterschiedlichen Dingen und Situationen Angst, das Gefühl, das man dabei empfindet, ist aber den meisten Menschen sehr bekannt. Furchtempfinden im Gehirn liegt eine recht ausgeklügelte Schaltung zugrunde, die mehrere Hirnbereiche miteinander verbindet. Für den Bereich der Furchtkonditionierung, also wie ein Mensch „lernt“ sich vor etwas zu fürchten, lässt sich diese sehr anschaulich erklären.
Du kennst das sicher. Der zunächst gute Gedanke, den Weckton des eigenen Handys durch das eigene Lieblingslied zu ersetzen schien zunächst eine gute Idee zu sein, bis man merkt, dass man über die Zeit eine wahre Aversion gegen den Beginn dieses Lieblingsliedes entwickelt. Dies liegt an der klassischen Konditionierung, man verbindet die ersten Töne des Lieblingsliedes mit dem Ereignis des Aufstehens, daher schreckt man in Folge dessen immer hoch, wenn man die Töne hört und hat eventuell auch eine negative Beziehung zu diesem Song aufgebaut. Ähnliches passiert auch bei der Furchtkonditionierung im Gehirn.
Die volle Ladung Theorie – kurzgefasst
Hierfür wollen wir uns kurz ein Experiment mit Ratten anschauen. Diese wurden klassisch konditioniert, indem das Induzieren eines (harmlosen) Schocks mit einem Ton aus einem Lautsprecher gepaart wurde. Die Ratte fürchtete sich also nach einiger Zeit jedes Mal gehörig, wenn sie den Ton hörte, in der Erwartung, dass sie gleich wieder geschockt würde. Für diese logische Verbindung sind der laterale und zentrale Kern der Amygdala, einer recht zentral gelegenen, also potentiell alten, rundlichen Struktur im Gehirn, sehr entscheidend. Der laterale Kern oder Nukleus empfängt die Signale aus der Umwelt (den Ton und den Schmerz), verbindet sie miteinander und leitet sie dann an den zentralen Kern weiter, er speichert also das Wissen, dass auf einen Ton auch ein Schock kommt. Der zentrale Kern aktiviert dann die Furchtreaktion indem er beispielsweise den Hirnstamm anweist nun eine körperliche Reaktion einzuleiten. Soweit so gut. Aber was passiert den nun, wenn einer der beiden Kerne beschädigt ist?
Nun, für den zentralen Nukleus ist die Sache einfach. Wird er beschädigt, kriegt er zwar noch ein Signal vom lateralen Nukleus, gibt dieses aber nicht mehr weiter. Das bedeutet, der Ton kann noch so häufig kommen und die Ratte noch so häufig den Schock bekommen, sie wird sich zu keinem Zeitpunkt vor einem von beiden fürchten. Sie kann es nicht mehr.
Etwas anders verhält es sich für den lateralen Nukleus. Bei Beschädigung fürchtet sich die Ratte nicht mehr beim Erklingen des Tons und auch wenn man den Ton durch ein Lichtsignal ersetze, wäre die Ratte außerstande, diese neue Verbindung zu lernen. Es scheint quasi, als sei das Rechenzentrum, dass das eine Ereignis (Ton) mit dem anderen (Stromschlag) verbindet, zerstört. So kann man es sich auch ungefähr vorstellen. Interessant ist aber die Tatsache, dass die Ratte sich zwar nicht mehr vor dem Ton fürchtet (die Verbindung zum wirklich schlimmen Ereignis, dem Schock, ist ja verloren gegangen) aber beim Auslösen eines Schocks selbst, eine ganz normale Furchtreaktion zeigt. Dies lässt sich damit erklären, dass nicht all der sensorische Input erst durch den lateralen Kern wandert, sondern Informationen über unkonditionierte Ereignisse wie einen Schock, direkt zum zentralen Kern vordringen können.
Puh, so viel Theorie, aber wozu das alles?
Krankhaft furchtlos
Bei Makaken, das sind Affen, also dem Menschen potentiell ähnlich, lässt sich ein solches Syndrom beobachten, jedoch äußert es sich neben der Furchtlosigkeit und dem daraus resultierenden Fehlen des Misstrauens auch durch eine Hypersexualität und Hyperoralität, diese tritt beim Menschen nicht auf. Tatsächlich gibt es diese Menschen, die keine Furcht empfinden. Sie leiden am sogenannten Urbach-Wiethe Syndrom. Es äußert sich durch wenig Furchtverhalten und Misstrauen, Schwierigkeiten mit der Interpretation von Gesichtsausdrücken, schlechter Lernleistung aus schlechten Erfahrungen und einer gestörten Furchtkonditionierung. Die Patienten zeigen aber eine normale Reaktion auf unkonditionierte Reize. Ausgelöst wird die Krankheit durch eine Verkalkung der Amygdala im Kindesalter.
Es ist derart selten, dass es bisher nur einmal gelang, einen solchen Fall zu dokumentieren. Die eine Person, bei denen man solch ein Verhalten beschreiben und die Person dazu befragen konnte, ist Patientin SM, die aufgrund einer Verkalkung der Amygdala außerstande ist, Furcht zu empfinden. Wissenschaftlich eine höchst interessante Begebenheit. Sie sieht in der Welt um sich herum keine Gefahren, da nichts in ihrem Gehirn ihr meldet, dass überall potentielle Gefahren lauern könnten. Auch mit der Identifikation von furchterfüllten Gesichtsausdrücken hat sie ihre Schwierigkeiten. Als man ihr die Aufgabe stellte, ein angsterfülltes Gesicht auf ein Blatt Papier zu malen, konnte sie dies nicht. Weder im Straßenverkehr noch im Umgang mit Schlangen zeigt sie irgendwelche Symptome von Vorsicht oder Angst. Auch verbrachte sie mit Begleitern einige Zeit in einem sogenannten „haunted house“ und schien den Ausflug sehr zu genießen, anstatt sich zu fürchten. Anders als bei den meisten von uns, lösen Horrorfilme bei ihr keinerlei Emotionen aus, wahrscheinlich wäre sie eher gelangweilt.
Die Schattenseite der Furchtlosigkeit
So erstrebenswert dies scheint, ein furchtbefreites Leben zu führen, so tiefgreifend sind doch die Konsequenzen. Fühlt man keine Angst, ist es auch quasi unmöglich Misstrauen zu fühlen, daher muss die Identität der Patientin geheim gehalten werden, aus der Sorge heraus, Menschen würden versuchen sie auszunutzen. Patientin SM wurde in ihrem Leben bereits zwei Mal sowohl mit einem Messer, als auch einer Schusswaffe bedroht und von ihrem ersten Ehemann beinahe erschlagen, weil ihr fehlendes Misstrauen sie in ungünstige Situationen brachte. Trotzdem, so sagt einer der sich mit ihr beschäftigenden Wissenschaftler in einem Interview, scheint sie gut durchs Leben zu finden. Unter anderem gelänge ihr dies, weil man beispielsweise durch logisches Nachdenken häufig zum selben Schluss käme, wie man es mit einer Furchtreaktion tut, auch wenn das logische nachdenken länger dauert. Den Link zu diesem sehr interessanten Interview findest du übrigens unten in den Quellen. Es scheint aber so zu sein, dass sie durch die fehlende Furchtreaktion öfter in gefährliche Situationen gerät. Nun, ihr kann es ja egal sein, verspürt sie in der Situation jedoch keinerlei Angst. Im Interview wird von einer Begebenheit berichtet, in der sie mit einem Messer bedroht wurde und der Situation wahrscheinlich gerade aufgrund ihrer Furchtlosigkeit noch einmal entgehen konnte.
Was will ich also mit meiner Furcht?
Was lernen wir also aus diesem Fall und warum ist es gut sich ab und an zu fürchten? Furcht als Emotion ist einer unserer basalsten Instinkte und sichert uns tagtäglich das Überleben. Durch die Furcht haben wir gelernt, was in unserer Welt uns potentiell gefährlich werden kann. Durch sie entgehen wir Situationen, die für uns unvorteilhaft enden könnten. Es ist also völlig normal und ebenso völlig gesund sich ab und an zu fürchten und keinesfalls sollte man (eine gesunde) Furcht als etwas Negatives auffassen. In unserer Gesellschaft gilt ein ängstlicher, vorsichtiger Mensch schnell als schwach oder Angsthase, dabei ist es gerade diese Furcht, die sichergestellt hat, dass es den Menschen nun seit mehr als 10.000 Jahren gibt. Man sieht es eben besonders gut an Patientin SM. Nicht nur, dass man ihre Anonymität stets gewährleisten muss, da sie sonst wie gesagt Gefahr liefe ausgenutzt zu werden, man muss sie primär hinsichtlich mancher Dinge (wilder Tiere, unvorhersehbare Situationen) auch vor sich selber schützen. Ein Mensch mit einem gesunden Furchtempfinden macht dies ganz automatisch.
Also sei froh, dass ihr euch hin und wieder fürchtet, es sichert in gewisser Weise euer Überleben. Außerdem zeigt es, dass es ein erheblicher Einschnitt in das normale Leben ist, sich nicht zu fürchten, in dessen Folge man Situationen nicht mehr instinktiv hinsichtlich ihrer Gefahr einschätzten kann und dann muss man das durch angestrengtes Nachdenken lösen, und wer hat darauf schon Lust, wenn es doch eigentlich automatisch funktioniert.
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