Bin ich krank?
Jeder kennt es, ein Ziehen in der Brust, ein stechender Schmerz im Arm, nur Bruchteile einer Sekunde da und schon wieder verschwunden. Das kann man dann als kurze Irritation des Körpers und als nicht weiter tragisch bewerten, aber häufig ertappt man sich doch dabei, schonmal die inhaltlichen Aspekte des eigenen Testaments zu eruieren.
Was normalerweise aber nicht mehr als ein, zwei solcher Gedanken wert ist, kann für manche Menschen zu einem richtigen Problem werden. Aber wo liegt die Grenze zwischen einem kurzen Anflug von Sorgen und einer ernstzunehmenden Störung? Und worin unterscheiden sich diese Störungen? Und vor allem, wann macht es Sinn sich dahingehend mal überprüfen zu lassen?
Ein Disclaimer vorweg, das hier soll kein Diagnosetool sein, um zu entscheiden ob eine therapeutische Beratung für dich Sinn ergibt oder nicht. Es soll vielmehr der theoretische Hintergrund solcher Erkrankungen beleuchtet werden und die wichtigsten Begriffe eingeordnet werden. Wer jetzt noch nicht beim Lesen ein- oder entschlafen ist, den erwartet ein spannender Ausflug in die Welt der klinischen Psychologie und vielleicht auch eine kleine Hilfe, warum die Sorgen die man bezüglich seiner eigenen Gesundheit gelegentlich hat, kein Grund zur Besorgnis sind.
“Du Hypochonder!”
Den Begriff „Hypochonder“ hat wahrscheinlich jeder von uns schonmal gehört. Beschrieben wird damit meist eine Person, die entweder besonders wehleidig oder bezüglich der eigenen Gesundheit besonders aufmerksam ist. Auch von „eingebildeter Krankheit“ wird in diesem Zusammenhang häufig gesprochen. Der Begriff ist durchaus negativ besetzt und wird gerne auch zur Diffamierung von Personen genutzt, daher sollte man davon absehen, ihn zu verwenden.
Welche Störungen gibt es?
Grundsätzlich lassen sich die beiden Störungen, die wir uns heute ansehen wollen, anhand eines Merkmals unterscheiden. Liegt ein tatsächliches Symptom vor, oder nicht? Bei der somatischen Belastungsstörung, ist das vorliegen eines somatischen Symptoms erforderlich, um die Störung zu diagnostizieren. Auf Basis dieses Symptoms entwickeln die Patient*Innen dann exzessive Gedanken oder Verhaltensweisen bezüglich dieses Symptoms und der damit einhergehenden Gesundheitssorgen. Die Patient*innen beschäftigen sich permanent und unter Einsatz von immenser Anstrengung mit ihren Symptomen, die nicht verschwinden wollen und die Betroffenen weit über 6 Monate belasten. Merkmale dieser Störung lassen sich in zwei Bereiche unterteilen. So gibt es einmal kognitive Merkmale, wie etwa ein eingeengtes Verständnis von Gesundheit und Krankheit, was sich in irrtümlichen und rationalisierten Ansichten bezüglich der Definition von Gesundheit und Krankheit äußern kann. Ferner zeigt sich häufig die Tendenz die kleinsten körperlichen Symptome katastrophisierend zu bewerten, also sprichwörtlich aus einer Mücke einen Elefanten zu machen und sich die schlimmsten Folgen auszumalen, obwohl dazu vielleicht gar kein Anhaltspunkt gegeben ist.
Was sind die Folgen der Störungen?
Diese kognitiven Merkmale schlagen sich dann in einem geänderten Verhalten nieder. So nehmen die Patient*Innen in ihrer Überzeugung schwer erkrankt zu sein, übermäßig häufig medizinischen Rat in Anspruch und lassen sich unter Aufwendung großer Mengen Zeit und Geld von diversen Spezialisten untersuchen. Eine negative Diagnose bringt nur kurzfristige Beruhigung, meist sind die Patient*Innen bereits nach wenigen Tagen, wieder derart besorgt bezüglich der Symptome, dass sie den nächsten Arzt aufsuchen. Hierbei wird dann meistens das sogenannte „Doctor Shopping“ betrieben, also das wiederholte wechseln des behandelnden Arztes, aufgrund der Enttäuschung über die vermeintlich falsch negative Diagnose. Besonders problematisch wird es wenn Betroffene entscheiden, das Zepter ihrer eigenen Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen und sich medikamentös selbst zu behandeln. Dieser unsachgemäße Medikamentengebrauch führt nicht nur zu keinerlei Verbesserung der Gesundheitslage, sondern kann im Gegenteil durch die Nebenwirkungen der Medikamente eher noch zu einer Verschlimmerung der Störung beitragen und sorgt ferner auch nur kurzfristig für Beruhigung der Betroffenen.
Grund zur Panik?
Wer jetzt denkt, „joa so ein Symptom hab ich und Sorgen mach ich mir auch, das ist es also..“ den kann ich beruhigen. Die 12-Monats-Prävalenz, also die Zahl der diagnostizierten Neuerkrankungen in Deutschland betrug 2011 5%, wohlgemerkt für alle Somatoformen Störungen, nicht allein für die Somatische Belastungsstörung. Natürlich, das ist nur Statistik, das schließt nicht aus, dass man selbst so eine Störung haben kann, aber bevor eine klinisch relevante Störung vorliegt muss schon einiges zusammenkommen. Die Checkliste mit der die Störung diagnostiziert wird, umfasst drei Kernkriterien. Das bereits erwähnte körperliche Symptom, die darauf bezogenen exzessiven Gedanken und die persistierende Belastung, meist über 6 Monate. Heisst, ab und an mal Sorgen bezüglich der eigenen Gesundheit aufgrund eines einmaligen Symptoms macht noch keine somatische Belastungsstörung aus, dafür muss das Symptom auch die ganze Zeit regelmäßig auftreten. Ferner müssen die symptombezogenen Sorgen auch mindestens 6 Monate am Stück auftreten und man sich intensiv mit diesen auseinandersetzen, bevor von einer Störung die Rede sein kann.
Dem Tode so nah?
Wenn übermäßige Gesundheitssorgen ohne ein vorliegendes Indiz die Betroffenen quälen spricht man hingegen von einer Krankheitsangststörung. Diese zeichnet sich durch 6 Diagnosekriterien aus. Zunächst muss eine übermäßige Beschäftigung mit einer ernsthaften Erkrankung der eigenen Person vorliegen, insbesondere ohne tatsächliche körperliche Symptome wahrzunehmen. Die Betroffenen sind hinsichtlich der eigenen Gesundheit extrem leicht zu beunruhigen und zeigen extreme gesundheitsbezogene Verhaltensweisen wie etwa „body checking“, also das intensive und mehrmalige Überprüfen der Unversehrtheit des eigenen Körpers, oder „maldaptive Vermeidung, also das Vermeiden von Arzt- oder Krankenhausbesuchen. Interessant ist auch, dass die Krankheit, vor der sich die Betroffenen fürchten, sich im Rahmen der 6 Monate in denen die Sorgen auftreten müssen, um eine Störung festzustellen, ändern kann. Dementsprechend kann ein Betroffener beispielsweise die ersten drei Monate befürchten an einer Lungenentzündung zu leiden und aufgrund der medialen Präsenz des Themas zu der Überzeugung gelangen an dem Sars-Covid-19 Virus erkrankt zu sein.
Auch hier gilt, sich häufiger mal Sorgen zu machen, krank zu sein, ist an sich noch kein Problem. Wichtig ist, dass man die oben genannten Kriterien nicht erfüllt, also insbesondere in der Führung seines normalen Lebens nicht eingeschränkt wird und die Sorgen nicht dauerhaft über 6 Monate anhalten.
Den Ernst der Lage erkennen
Dies soll natürlich auch kein Appell dafür sein, Symptome zu ignorieren. Nimmt man Symptome wahr, ist es richtig und wichtig, diese überprüfen zu lassen, daraus ergibt sich noch lange keine psychologische Störung und lieber läuft man einmal zu viel zum Arzt und lässt sich tadellose Gesundheit bescheinigen, als bewusst Symptome zu ignorieren. Und auch einen zweiten Arzt für eine zweite Meinung aufzusuchen, kann durchaus vernünftig sein. Kritisch wird es jedoch, wenn auch das negative Urteil eines zweiten Arztes nicht zur Beruhigung der Sorgen beiträgt.
Zusammengefasst und etwas vereinfacht gesagt, kann man festhalten: Sich um seine Gesundheit zu sorgen ist wichtig, nötig und keineswegs schon Ausdruck einer psychologischen Störung. Problematisch wird es, wenn marginale oder non-existente Symptome als Grund für eine schwerwiegende Erkrankung angeführt werden und aufgrund der Sorgen bezüglich der eigenen Gesundheit ein normales Leben nicht mehr möglich erscheint. Hilfe können hier die diversen psychologischen Beratungsstellen spenden, die einen gerne bezüglich psychologischer Störungen beraten.
Die gebotene Vorsicht
Eine Bitte zum Abschluss. Solltet ihr tatsächlich Sorge haben unter einen somatoformen Störung zu leiden informiert euch bei den entsprechenden offiziellen Stellen. Nutzt keine online-Tests oder fundiert euren eigenen Zustand anhand von Bog-Artikeln wie diesem hier. Artikel können euch einen Überblick über die theoretischen Hintergründe geben und auch vielleicht ein bisschen die komplexen Zusammenhänge dahinter beleuchten, aber zu keinem Zeitpunkt solltet ihr die nutzen, um zu entscheiden, ob ihr professionelle Hilfe braucht oder nicht. Dahingehend können euch einzig professionelle Stellen die richtigen Informationen geben.
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