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Ayurveda und westliche Psychologie

Seit mehr als einem Jahrhundert hat sich die westliche Psychologie als sehr hilfreich dabei erwiesen, das Leben vieler Menschen zu verbessern. Sei es durch Freuds Psychoanalyse, durch Skinners Behaviorismus oder Rogers Humanismus. Trotz dieser Verbesserungen kommen mit diesen Ansätzen auch einige Nachteile, die man eventuell durch andere Ansätze wie der ayurvedischen Psychologie zumindest etwas ausgleichen könnte. Im folgenden Artikel geht es um einen Vergleich und einen Vorschlag der gegenseitigen Ergänzung der ayurvedischen und westlichen Praxis.

 

Allgemeiner Vergleich

Die westliche Psychologie stützt sich hauptsächlich auf empirische Forschung und die wissenschaftliche Methode, um menschliches Verhalten und mentale Prozesse zu verstehen. Sie umfasst verschiedene therapeutische Ansätze, darunter die kognitive Verhaltenstherapie (CBT), die Psychoanalyse und die Psychopharmakologie. Die westliche Psychologie hat sich im letzten Jahrhundert erheblich weiterentwickelt, indem sie diverse Denkschulen und Methoden integriert hat. Die kognitive Verhaltenstherapie konzentriert sich darauf, dysfunktionale Denkmuster und Verhaltensweisen zu ändern, während die Psychoanalyse unbewusste Prozesse erforscht. Die Psychopharmakologie verwendet Medikamente, um chemische Ungleichgewichte im Gehirn zu behandeln.


Die westliche Psychologie bietet durch ihre evidenzbasierte Herangehensweise fundierte Behandlungsansätze. Diagnostische Kriterien, wie sie im DSM-5 zu finden sind, ermöglichen eine standardisierte (also übergreifend gleich ablaufende) Diagnose und Behandlung psychischer Störungen, was Beständigkeit und Zuverlässigkeit in der Diagnose gewährleistet. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Spezialisten und therapeutischen Modalitäten, die auf spezifische Störungen zugeschnitten sind und gezielte und effektive Interventionen ermöglichen. Allerdings tendiert die westliche Psychologie dazu, viele Verhaltens- und Stimmungsvariationen zu pathologisieren (als krankhaft darzustellen), was möglicherweise zu Überdiagnosen und Stigmatisierung führen kann. Die Verwendung von pharmakologischen Behandlungen kann Nebenwirkungen und Abhängigkeitsprobleme verursachen, was langfristige Gesundheitsprobleme mit sich bringen kann. Zudem erschweren hohe Kosten und begrenzter Zugang zu psychischen Gesundheitsdiensten in einigen Regionen die Versorgung vieler Menschen.


Im Gegensatz dazu verfolgt Ayurveda, ein altes indisches Medizinsystem, einen ganzheitlichen Ansatz zur Gesundheit, der Körper, Geist und Seele integriert. Es betont das Gleichgewicht der drei Doshas (Vata, Pitta und Kapha) und verwendet natürliche Behandlungen wie Kräutermedizin, Ernährung und Lebensstiländerungen. Ayurveda hat eine über 5000 Jahre alte Tradition und basiert auf den Prinzipien von Gleichgewicht und Harmonie. Es betrachtet Gesundheit als ein dynamisches Gleichgewicht physischer, mentaler und spiritueller Aspekte, wobei die einzigartige Konstitution (Prakriti) eines jeden Individuums eine zentrale Rolle bei der Bestimmung der geeigneten Behandlung spielt. Ayurvedische Behandlungen sind oft maßgeschneidert auf das Individuum und dessen Dosha-Gleichgewicht und konzentrieren sich auf Ernährung, Kräutermedizin, Yoga und Meditation.



 

Was sind Doshas?



Doshas sind die fundamentalen bioenergetischen Kräfte im Ayurveda, die physische und psychische Prozesse im Körper steuern. Es gibt drei Hauptdoshas:

  • Vata: Steuert Bewegung, Atmung und das Nervensystem. Menschen mit einem Vata-Ungleichgewicht neigen zu Unruhe, Ängstlichkeit und Schlafproblemen.

  • Pitta: Regelt den Stoffwechsel, die Verdauung und die Körpertemperatur. Ein Ungleichgewicht kann zu Wut, Entzündungen und Verdauungsproblemen führen.

  • Kapha: Verantwortlich für Struktur und Stabilität, einschließlich Knochen, Muskeln und Immunität. Ein Ungleichgewicht kann zu Trägheit, Gewichtszunahme und Depression führen.

Aus ihnen lassen sich verschiedene Persönlichkeitstypen ableiten, die auf der Stärke der verschiedenen Dosha-Ausprägungen aufbauen.

Jeder Mensch hat eine einzigartige Dosha-Konstitution, die durch eine Kombination der drei Doshas (Vata, Pitta und Kapha) geprägt ist. Diese Doshas beeinflussen unsere grundlegenden körperlichen Eigenschaften, unsere Persönlichkeit und unser Verhalten. Die Dosha-Persönlichkeitstypen sind daher natürliche Ausprägungen der Doshas und stellen keine Erkrankung dar. Zum Beispiel:

  •  Vata-Persönlichkeit: Menschen mit einem dominanten Vata-Dosha neigen zu Eigenschaften wie Kreativität, Lebhaftigkeit und einer schnellen Auffassungsgabe. Sie sind oft energiegeladen und vielseitig, können aber auch zur Unruhe und zum Nervositätstyp tendieren.

  • Pitta-Persönlichkeit: Personen mit einem starken Pitta-Dosha sind oft zielstrebig, leidenschaftlich und ehrgeizig. Sie sind fokussiert und analytisch, aber auch anfällig für Überhitzung und Reizbarkeit.

  • Kapha-Persönlichkeit: Kapha-Dosha-Typen sind in der Regel stabil, geduldig und zuverlässig. Sie sind oft ruhig und ausdauernd, können jedoch zu Trägheit und Übergewicht neigen.

Die meisten Menschen haben nicht nur ein dominantes Dosha, sondern eine Kombination aus zwei oder drei Doshas, die ihre einzigartigen Persönlichkeitsmerkmale beeinflussen. Zum Beispiel gibt es Vata-Pitta oder Kapha-Vata Persönlichkeiten.

 

Ayurveda bietet einen umfassenden Blick auf die Gesundheit und fördert das allgemeine Wohlbefinden des Einzelnen, indem es physische, mentale und spirituelle Gesundheit einbezieht. Natürliche Heilmittel und Lebensstiländerungen minimieren das Risiko von Nebenwirkungen. Allerdings kann die Diagnostik und Behandlung im Ayurveda aufgrund fehlender Standardisierung stark zwischen den Praktikern variieren, was zu Inkonsistenzen in der Versorgung führen kann. Die wissenschaftliche Validierung vieler ayurvedischer Behandlungen ist begrenzt, was die breitere Akzeptanz innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft erschwert. In einigen Regionen fehlen Regulierung und Standardisierung, was die Qualität der Versorgung inkonsistent macht. Trotz dessen gibt es immer mehr wissenschaftliche Evidenz, die den Ruf der Praxis als unfundiertes "Quacksalbern" widerlegt und aufzeigt wie hilfreich dieser Ansatz sein kann. Auch gibt es neue, vorläufige wissenschaftliche Befunde dazu, dass das ayurvedische Prinzip der Doshas mit der menschlichen Genetik korreliert. Dies deutet weiter darauf hin, dass diese Prinzipien ihren Platz in der medizinischen und psychologischen Praxis haben.


ADHS: Ein spezifischer Vergleich

Im folgenden Abschnitt werden wir untersuchen, wie diese beiden Ansätze speziell auf die Symptome und Herausforderungen von ADHS angewendet werden, um die spezifischen Unterschiede in der Behandlung zu veranschaulichen. Wir betrachten, wie die westliche Psychologie ADHS diagnostiziert und behandelt und vergleichen dies mit der ayurvedischen Perspektive, die ADHS als Ausdruck eines Ungleichgewichts der Doshas interpretiert.


Was ist ADHS?

ADHS, oder Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, ist eine neuroentwicklungsbedingte Störung, die sich durch Symptome wie Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität auszeichnet. Diese Symptome können das tägliche Leben und die sozialen, schulischen und beruflichen Leistungen der Betroffenen erheblich beeinträchtigen.


Ansatz der westlichen Psychologie

In der westlichen Psychologie wird ADHS meist mit einer Kombination aus Verhaltenstherapie und Medikamenten behandelt. Verhaltenstherapie hilft dabei, problematische Verhaltensweisen zu erkennen und durch gezielte Strategien zu ändern. Sie kann dem Betroffenen auch helfen, Fähigkeiten zur besseren Selbstorganisation und zur Bewältigung von Aufgaben zu entwickeln.

Medikamente spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Besonders häufig werden Stimulanzien wie Methylphenidat (Ritalin) oder Amphetamin-Präparate verschrieben. Diese Medikamente können helfen, die Symptome von ADHS wie Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität zu verringern, indem sie die chemischen Prozesse im Gehirn beeinflussen. Es gibt auch nicht-stimulierende Medikamente wie Atomoxetin, die eine andere Wirkweise haben und in bestimmten Fällen verwendet werden. Die Verwendung von zum Beispiel Amphetamin-Präparaten kann zu einer Abhängigkeit führen und generell kann der Ansatz der Pathologisierung abweichender Verhaltensweisen (in dem Fall eine Aufmerksamkeitsstörung), durch den Scham der entsteht einem gesunden Umgang im Wege stehen.

 

Ayurvedischer Ansatz

Im Ayurveda wird ADHS nicht als eigenständige Störung klassifiziert, sondern als Ausdruck eines Ungleichgewichts der Doshas, insbesondere Vata, betrachtet. Ayurvedische Praktiker beurteilen die Gesamtverfassung des Individuums und identifizieren Ungleichgewichte. Die Behandlung zielt darauf ab, das Gleichgewicht durch Ernährung, Kräuter, Yoga, Meditation und Lebensstiländerungen wiederherzustellen.

In der ayurvedischen Sichtweise wird ADHS als Manifestation eines unausgeglichenen Vata-Doshas betrachtet, das Bewegung und Aktivität im Körper steuert. Ein erhöhtes Vata kann zu Symptomen führen, die typisch für ADHS sind, wie Hyperaktivität, Unruhe und Konzentrationsschwierigkeiten. Die Behandlungen zielen darauf ab, Vata zu beruhigen und zu stabilisieren, indem warme, erdende Lebensmittel in die Ernährung und anderweitige erdende Methoden in das Leben integriert werden. Dies heißt aber nicht, dass eine stärkere Ausprägung des Vata-Doshas als etwas schlechtes oder "abnormales" in der ayurvedischen Lehre gesehen wird. Es handelt sich nur um einen anderen Persönlichkeitstypen mit anderen Herangehensweisen.


Erdende Methoden umfassen unter anderem:

  • Yoga: Spezielle Asanas (Körperhaltungen) wie die Baumhaltung (Vrikshasana) oder der Heldensitz (Virasana) fördern Erdung und Stabilität.

  • Meditation: Regelmäßige Meditationspraktiken wie Achtsamkeitsmeditation oder Mantra-Meditation helfen, den Geist zu beruhigen und die Konzentration zu verbessern.

  • Ernährung: Eine Ernährung, die reich an warmen, gekochten, nahrhaften und leicht verdaulichen Lebensmitteln ist, kann das Vata-Dosha ausgleichen. Beispiele sind warme Getreide, gekochtes Gemüse und beruhigende Kräutertees.

  • Kräuter: Ayurvedische Kräuter wie Ashwagandha und Brahmi werden verwendet, um das Nervensystem zu beruhigen.

 Einer der Nachteile des ayurvedischen Ansatzes ist die immer noch ausbaufähige empirische Basis. Wie oben schon genannt, wächst die Anzahl an Studien zwar stetig, aber um den ayurvedischen Ansatz in seiner Fülle und exklusiv verwenden zu können, bedarf es weiterer Forschung.


Kombination beider Ansätze

Ein integrierter Ansatz zur Behandlung von ADHS könnte die Stärken beider Systeme kombinieren, um eine umfassendere und ganzheitlichere Versorgung zu gewährleisten. Gleichzeitig könnte er die Schwächen der beiden Perspektiven beseitigen, oder ihren Einfluss zumindest verringern. Die am besten geeignete Therapieform aus der westlichen Psychologie für ADHS ist die kognitive Verhaltenstherapie (CBT). Diese kann effektiv mit ayurvedischen Methoden ergänzt werden, um sowohl die psychischen als auch die physischen Aspekte der Störung zu adressieren.

 

Die Kombination von CBT mit ayurvedischen Praktiken könnte wie folgt aussehen:

  1. Kognitive Verhaltenstherapie (CBT): Die CBT hilft dabei, dysfunktionale Denkmuster und Verhaltensweisen zu identifizieren und zu ändern. Sie bietet strukturierte und evidenzbasierte Techniken zur Bewältigung der Symptome von ADHS.

  2. Erdende Aktivitäten und Meditation: Ergänzend zur CBT können regelmäßige Meditationen und erdende Yoga-Übungen helfen, den Geist zu beruhigen und die Konzentrationsfähigkeit zu verbessern. Techniken wie die Achtsamkeitsmeditation können besonders nützlich sein, um Impulsivität und Unaufmerksamkeit zu reduzieren.

  3. Ernährung nach ayurvedischen Prinzipien: Eine Vata-beruhigende Ernährung, die warme, nahrhafte und leicht verdauliche Lebensmittel beinhaltet, kann das allgemeine Wohlbefinden fördern. Beispiele sind warme Getreide, gekochtes Gemüse und beruhigende Kräutertees.

  4. Entstigmatisierung: Die Dosha-Perspektive auf die menschliche Persönlichkeit könnte dafür sorgen, dass sich Menschen, die mit ADHS diagnostiziert wurden nicht als Außenseiter oder abnormal fühlen, sondern sich eher als eine ganzheitlich anders funktionierende Persönlichkeit betrachtet, die auf ihre Individualität stolz sein kann.

Durch die Kombination von CBT und Ayurveda kann ein ganzheitlicher Ansatz zur Behandlung von ADHS entwickelt werden, der die Stärken beider Systeme nutzt und eine umfassendere Unterstützung für Betroffene bietet. Indem sowohl psychologische als auch körperliche Aspekte berücksichtigt werden, können die individuellen Bedürfnisse der Patienten besser adressiert und das allgemeine Wohlbefinden verbessert werden.


Fazit

Die westliche Psychologie und Ayurveda bieten kontrastierende, aber potenziell komplementäre Ansätze zur psychischen Gesundheit. Während die westliche Psychologie auf empirischer Evidenz und standardisierten Behandlungen basiert, bietet Ayurveda einen ganzheitlichen und personalisierten Ansatz. Durch die Kombination der Stärken beider Systeme können Menschen informierte Entscheidungen über ihre psychische Gesundheit treffen und die Vorteile beider Ansätze nutzen. Ein integrativer Ansatz könnte die umfassende Betreuung und das Wohlbefinden fördern, indem sowohl die wissenschaftliche Fundierung als auch die ganzheitliche Perspektive berücksichtigt werden.



Weiterführende Informationen


Weiterführende Informationen zur ayurvedische Lehre: https://www.hopkinsmedicine.org/health/wellness-and-prevention/ayurveda


Unsere Artikel zum Thema ADHS:


Unsere Artikel zum Thema, Meditation und Yoga:


Quellen

  1. Warrier, M. (2018). Health and Popular Psychology: Ayurveda in the Western Holistic Health Sector. Religions of South Asia, 12(1), 56-77. https://doi.org/10.1558/rosa.37511

  2. Soniya Seshan, Man Mohan Sharma, Nidhi Soni, & Suman Meena. (2024). A scientific evaluation of Mental Health through Ayurveda. Journal of Ayurveda and Integrated Medical Sciences, 9(2), 141 - 148. https://doi.org/10.21760/jaims.9.2.22

  3. Hankey A. The scientific value of Ayurveda. J Altern Complement Med. 2005 Apr;11(2):221-5. doi: 10.1089/acm.2005.11.221. PMID: 15865485.

  4. Rhoda, D. (2014). Rhoda, D. (2014). Ayurvedic psychology: Ancient wisdom meets modern science. International Journal of Transpersonal Studies, 33(1), 158–171.. International Journal of Transpersonal Studies, 33 (1). http://dx.doi.org/https://doi.org/10.24972/ijts.2014.33.1.158

  5. Behere PB, Das A, Yadav R, Behere AP. Ayurvedic concepts related to psychotherapy. Indian J Psychiatry. 2013 Jan;55(Suppl 2):S310-4. doi: 10.4103/0019-5545.105556. PMID: 23858273; PMCID: PMC3705701.

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